Ein „positiver“ Cannabis-Test im Straßenverkehr wirkt für viele eindeutig: Wer positiv ist, muss konsumiert haben – und war vermutlich berauscht. Bei THC ist die Realität komplizierter. Denn THC kann noch nachweisbar sein, obwohl die akute Wirkung längst vorbei ist. Genau das ist der Kern des Problems: Menschen können sanktioniert werden, obwohl sie sich subjektiv nüchtern fühlen – und teils auch ohne klar messbare Fahrbeeinträchtigung.
Der MDR fasst das anschaulich zusammen und erklärt, warum THC im Körper eine Besonderheit ist und wie der neue Grenzwert genau funktioniert: MDR – „Positiver Test, ohne gekifft zu haben?“
Welche Strafen drohen aktuell?
Seit dem 22.08.2024 gilt im Straßenverkehr (für die Ordnungswidrigkeit) ein Grenzwert von 3,5 ng THC pro ml Blutserum. Laut MDR drohen bei Erreichen/Überschreiten:
- 500 € Bußgeld
- 1 Monat Fahrverbot
Wenn zusätzlich Alkohol nachgewiesen wird, steigt das Bußgeld laut MDR auf:
- 1.000 € Bußgeld (plus Fahrverbot)
Sonderregel für Fahranfänger:innen / unter 21 Jahren:
Für Personen in der Probezeit oder unter 21 gilt weiterhin praktisch „Null-Toleranz“: kein THC im Blut. Wer dagegen verstößt, riskiert:
- 250 € Bußgeld
Wichtig: Neben Ordnungswidrigkeiten kann es strafrechtlich relevant werden, wenn Ausfallerscheinungen, Fahrfehler, Gefährdung oder Unfall hinzukommen (dann drohen deutlich härtere Konsequenzen bis hin zu Freiheitsstrafen, plus Führerscheinentzug). Der MDR verweist dazu auf die übliche Einordnung: ohne Ausfall eher OWi, mit Ausfall/Unfall eher Straftat.
Wie kann ein Test positiv sein, obwohl man „nicht (mehr) bekifft“ ist?
Der entscheidende Punkt: THC ist fettlöslich und kann sich im Körper einlagern. Der Rechtsmediziner Prof. Stefan Tönnes erklärt im MDR, dass THC Depots in Muskeln und Fettgewebe bilden kann. Bei regelmäßigem Konsum kann THC dann langsam aus diesen Speichern wieder ins Blut zurückgelangen – auch in Phasen, in denen nicht konsumiert wurde. Ergebnis: Blutwerte können noch erhöht sein, obwohl keine akute Rauschwirkung mehr vorliegt.
Dieses Phänomen wird im MDR als „residuales THC“ beschrieben.
Der ADAC nennt außerdem grob:
- Nach Inhalation steigt THC sehr schnell an, fällt aber anfangs auch relativ schnell ab.
- Bei gelegentlichem Konsum sind höhere Werte eher kurzzeitig zu erwarten.
- Bei regelmäßigem Konsum kann die Rückverteilung aus Gewebe Tage dauern, bis bestimmte Werte unterschritten werden.
Wo liegen die Gefahren – für Verkehrssicherheit und für Betroffene?
Es gibt zwei gleichzeitige Risiken:
- Verkehrssicherheit: Akut berauschtes Fahren ist gefährlich – daran gibt es nichts zu beschönigen. Das Problem ist nur: ein Blut-THC-Wert sagt nicht automatisch „akut beeinträchtigt“.
- Rechts- und Alltagsrisiko für Konsumierende: Wer regelmäßig konsumiert, kann „überraschend“ über dem Grenzwert liegen, obwohl zwischen Konsum und Fahrt viele Stunden oder sogar mehr Zeit liegen. Das kann zu Fahrverbot, hohen Kosten und beruflichen Folgen führen.
Zusätzlich entsteht ein „Trugschluss“ in der Praxis: Viele glauben, sie könnten sich sicher einschätzen („Ich bin doch wieder klar.“). Laut MDR gibt es aber gerade bei regelmäßig Konsumierenden keine verlässliche Möglichkeit, die eigene THC-Serumkonzentration im Alltag zu kennen oder zu schätzen.
Warum THC-Werte im Blut weniger aussagekräftig sind als Alkoholwerte
Beim Alkohol ist die Sache (relativ) geradlinig: Blutalkoholkonzentrationen korrelieren deutlich besser mit akuter Beeinträchtigung und lassen sich im Alltag (mit Erfahrung/Promillerechnern/Abbauwerten) grob abschätzen.
Bei THC ist das schwieriger, u. a. weil:
- Depotbildung & Rückverteilung: THC kann sich einlagern und später wieder abgegeben werden (MDR: Besonderheit von Cannabis im Vergleich zu vielen anderen Substanzen).
- Sehr unterschiedliche Konsummuster und Produkte: Potenz, Aufnahme, Stoffwechsel und Konsumform variieren stark.
- Zeit vs. Wirkung entkoppelt: Ein messbarer Wert kann vorhanden sein, ohne dass die Person aktuell berauscht ist (MDR betont genau diese Problematik).
- Menge schwer einschätzbar: Laut MDR ist es für Konsumierende schwierig, die „konsumierte Menge“ bzw. den resultierenden Blutwert zuverlässig einzuschätzen – selbst wenn der letzte Konsum mehr als zwölf Stunden zurückliegt.
Kurz: THC-Blutwerte sind ein ungenauerer Marker für „Fahruntüchtigkeit“ als Promillewerte.
„Falsch-positiv“ – was ist damit eigentlich gemeint?
Im Alltag wird „falsch-positiv“ oft so verwendet: „Ich war nicht berauscht, aber der Test war positiv.“
Das ist bei THC häufig eher keine Laborpanne, sondern eine Interpretationsfalle:
- Der Test kann korrekt THC nachweisen,
- aber der Befund wird im Kopf vieler automatisch gleichgesetzt mit „akut berauscht“.
Ein echtes falsch-positives Ergebnis (Substanz gar nicht vorhanden) ist bei Bestätigungsanalytik im Blut deutlich seltener als bei Vortests. Praktisch entscheidend ist daher: Wie man testet und wie man Befunde bewertet.
Was könnte besser gemacht werden, um unnötige Sanktionen zu verhindern?
Der MDR zitiert Prof. Tönnes mit einer konkreten, praxisnahen Empfehlung:
Bei Verkehrskontrollen zuerst einen Speicheltest vorschalten, weil damit positive Befunde überwiegend nur bei aktuellem Konsum zu erwarten seien. Das zielt genau auf das Problem des residualen THC: Speichel ist eher ein Indikator für „kürzlich konsumiert“, während Blut bei regelmäßigem Konsum noch lange THC zeigen kann.
Darüber hinaus wären aus Sicht von Fairness und Verkehrssicherheit sinnvolle Verbesserungen:
- Standardisierte mehrstufige Teststrategie
- Screening (z. B. Speichel) → nur bei Positiv: beweissichere Blutprobe.
- Bessere Trennung von „Nachweis“ und „Beeinträchtigung“
- Kombination aus Grenzwert + dokumentierten Ausfallerscheinungen + ggf. standardisierten Leistungstests (wo rechtssicher möglich).
- Transparente Aufklärung
- Klare Behörden-/Polizei-Infos: „THC kann lange nachweisbar sein“ (MDR erklärt genau diesen Mechanismus). Das reduziert Fehlannahmen („12 Stunden reichen immer“).
- Spezifische Regeln für Mischkonsum konsequent kommunizieren
- Alkohol + THC wird härter sanktioniert (MDR: 1.000 €). Prävention sollte genau dort ansetzen.
- Mehr Forschung und regelmäßige Grenzwert-Evaluation
- MDR macht deutlich: Ein „absolut richtig“ gibt es wissenschaftlich nicht; Grenzwerte sind immer ein Abwägen.
Praktische Konsequenz für Konsumierende: Was ist die sicherste Strategie?
Rechtlich und praktisch bleibt die einzige wirklich sichere Option:
- Nicht fahren, wenn Konsum zeitlich nah liegt
- Bei regelmäßigem Konsum: sehr konservativ planen, weil Residual-THC Tage eine Rolle spielen kann (MDR/ADAC-Infos deuten genau darauf hin)
Wenn jemand beruflich auf das Auto angewiesen ist, ist das Thema kein „Lifestyle-Detail“, sondern ein reales Lebensrisiko.


